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Fatima: Predigt 13. Mai 2012 von Kardinal Gianfranco Ravasi

 

Predigt  vom 13.Mai 2012, Fatima Internationale Wallfahrt.

Kardinal Gianfranco Ravasi, Roma

Liebe Brüder und Schwestern,

Es sind viele Jahre her, seitdem ich hier in Fatima mitten in einer grossen Pilgerschar einen so leuchtenden Tag wie heute erleben durfte. Auch heute erlebe ich mich ganz in der Nähe von jedem von Ihnen mit dem einfachen und staunenden Blick der drei Hirtenkinder, Lucia, Francisco und Jacinta auf die Mutter des Herrn beim Vernehmen ihrer Stimme. Sie verweist uns heute auf das Gotteswort, das bei dieser feierlichen Liturgie in unseren Ohren und unseren Herzen  widerhallt.

Wir wählen für unsere Betrachtung ein einziges Symbol, das wir einsammeln können in der Einheit und Vielfalt der Themen, der Gedanken und Bilder, die uns in den drei heutigen biblischen Lesungen angeboten werden.

Der Heilige Paulus stellt uns ein Stück seines theologischen Hauptwerkes, des Briefes an die Römer, vor. Der Apostel sagt wörtlich in griechischer Sprache: „Bringt eure Leiber Gott dar“. Das ist das grosse Symbol, das  in uns und an unserer Seite liegt, noch bevor wir selber wurden und unsere Brüder und Schwestern. Tatsächlich ist der Leib nicht nur eine Anhäufung von Zellen, ein biologischer Organismus, sondern der Sitz unserer Seele, unseres Bewusstseins, des Geistes. Durch ihn können wir unsere Freude und Liebe mitteilen, aber auch den Schmerz und den Hass, er „ist der Tempel des Heiligen Geistes“, wie es derselbe Paulus den Christen von Korinth verkündet hat (Kor 6, 19). Er ist auch ein Heiligtum, das durch die Sünde entweiht werden kann.

Leider sind es die seelenlosen Körper der heutigen Gesellschaft, die sich behaupten. Sie wandeln sich zum Fleisch ohne Geist, das entweder angebetet oder verachtet wird. Die Eingeborenen in Brasilien hatten Recht, wenn sie dem deutschen Schriftsteller, Michael Ende, sagten: „In der letzten Zeit sind wir mit dem Fortschritt so schnell vorwärts gekommen, dass wir ein wenig innehalten müssen, damit unsere Seelen nachkommen können.“ Also gut, der Körper ist eine so wunderbare Architektur, dass vor allem im Antlitz sich der Weg zur Welt und zum Nächsten öffnet. Suchen wir also das Antlitz in seinen wesentlichen Zügen.

Der  Apostel Paulus folgt immer seinen griechischen Originalworten. Er beginnt sogleich dem Geist zu folgen, das heisst, es findet im Antlitz und im Hirn seine physische Darstellung, das Denken, der Verstand und die Erkenntnis.

Wie sagte der grosse gläubige Philosoph und Wissenschaftler  Pascal. Darin besteht unsere Würde, aber  auch unser Risiko. Er schrieb: „Es gibt zwei Übertreibungen: Den Verstand ausschliessen oder nur den Verstand anerkennen“. Er fährt fort: „Sich bemühen, gut zu denken, das ist ein Moralprinzip .., der letzte Schritt aber des Verstandes besteht darin, dass es die grosse Unendlichkeit von Dingen gibt, die über den Verstand hinausgehen.“

In der heutigen Kultur gibt es oft Fliessendes, Unbeständiges, das einem Nebel gleicht. Da gibt es keine festen Punkte der Moral, keine Leuchten  der Wahrheit, da lädt uns der Apostel ein, „sich nicht dieser Welt gleich zu stellen, an der Oberfläche zu segeln und abzustürzen, ohne zu denken und zu fragen, ohne zu suchen und zu beurteilen. Paulus ermahnt uns im Gegenteil, „uns zu verändern“, den Geist auf das zu richten, „was Gott angenehm und vollkommen ist.“

Im Antlitz leuchten die Augen:  im überragenden Text der Geheimen Offenbarung, den wir eben gehört haben. Die Szene ist bewegend. Johannes beruft sich auf den Propheten Jesaia: In der Stadt der Hoffnung, im neuen Jerusalem, wird Gott vor allen Männern und Frauen erscheinen, und wenn Er aus ihren  Augen die Tränen erblickt, wird Er selber kommen und sie abtrocknen.  Und von den Strassen dieser Stadt flieht jede Trauer, die in diesem Augenblick noch in Fatima zu finden ist, in allen Dörfern und Städten Portugals, in den Nationen, woher die Pilger kommen, aus den öden Gebieten von Asien oder von Afrika, in den chaotischen Hauptstädten.

Diese erschreckenden Bewohner heissen „Tod, Trauer, Klagen, Angst“.  Wir sind hierhergekommen mit von Tränen verschleierten Augen. Ein alter griechischer Dichter, Esquilin, ruft aus: „Unendlich  ist der Atem des Schmerzes, der von der Erde zum Himmel steigt. Wird es einen Gott geben, der ihn einsammelt?“

Seine kritische Frage erhielt keine Antwort. Wir aber bringen das verborgene Gepäck der Schmerzen, der Leiden, des Übels, der Sünde, der Einsamkeit, des Nicht-verstanden-werdens zu Maria. Sie soll es ihrem Sohn bringen. Und Er wird in unsere Mitte treten und gewiss eine Träne auswischen, vor allem aber diese Last auf sich nehmen und mit uns auf den Strassen unseres alltäglichen Lebens gehen.

Oftmals verbergen wir mit den Händen das Weinen und die Scham oder ziehen uns allein zurück in die Betrachtung.

Also gut, nach dem Symbol des Geistes und der Augen bilden die Hände das dritte Zeichen des Leibes, das wir im Wort Gottes dieser Liturgie finden. Im Evangelium hören wir, dass seine Mutter Maria verborgen in der Volksmenge Jesus hört. Christus streckt seine Hände zu den Aposteln hin und spricht vom tiefen Band, das ihn mit seiner Mutter und uns allen verbindet. Es geht um das Festbinden der Hände. Und gleich darauf bestätigt er: „Wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter“.

„Tun“, Wirken, bildet das typische Wort für die Hände. Wir dürfen keine Angst haben, die Hände zu beschmutzen, wenn wir den Elenden der Erde helfen. Wozu halten wir die Hände sauber, wenn wir sie in der Tasche haben? Der geistliche Autor, Thomas Merton, bestätigt: „Das Leben strömt aus den Händen, es wirkt wie trockener Sand oder wie eine fruchtbare Saat gerechter Werke.“

Der Händedruck, den wir geben werden als Zeichen des Friedens soll das Versprechen handelnder Brüderlichkeit werden. So erfüllen wir „den Willen des Vaters im Himmel“. Wenn wir dies tun, reichen wir Gott selber unsere Hand. Und wie sagte der französische Schriftsteller, Julien Green „Wenn wir Gott die Hand reichen, lässt er den Händedruck nicht leicht los“.

Der Leib, der Geist, die Augen, die Hände sind Zeichen in uns selber, sie sprechen immer zu unseren Herzen und leiten unser Leben unter den Augen Mariens und ihres Sohnes Jesus. Erinnern wir uns einer des andern, verbunden im gleichen Glauben und in der Mitteilung der Liebe über alle Entfernungen und Sprachschwierigkeiten.

Wenn ich diese Nacht nach Rom zurückkehre, werde ich unsere heutige Begegnung Gott anvertrauen. Mein Fenster schaut auf die Basilika und die Kuppel von St. Peter und zur Wohnung des Papstes, Benedikt XVI, dessen Mitarbeiter ich bin.

Gott kennt jedes Gesicht seiner Geschöpfe. Er möge euch segnen und einen leuchtenden Schutzengel an Eurer Seite in der Nacht anvertrauen“.  So besingt euer Dichter Vitorino Nemesio Fatima.

Möge über jeden von euch Maria die Verheissung, die sie Lucia gegeben hatte, wahrmachen: „Ich werde dich nie verlassen. Mein Unbeflecktes Herz wird immer deine Zuflucht und der Weg sein, der dich zu Gott führen wird“.

Übersetzung durch Pater Joseph Grass