Sechste Erscheinung der Gottesmutter in Fatima
Die Zeit zwischen dem 13. September und dem 13. Oktober 1917 war für die drei Seherkinder von Fatima eine Zeit grosser Prüfungen. Obwohl sich die Kunde von den Erscheinungen weit über die Grenzen ihres kleinen Heimatortes verbreitet hatte, ernteten sie im Dorf selbst Spott, Ablehnung und Verachtung.
Viele Dorfbewohner verhöhnten die Kinder. Der Pfarrer von Fatima mahnte sie eindringlich, ihre Aussagen zu widerrufen – nicht aus Unglauben, sondern aus Sorge um die Kirche, die bereits stark unter dem Druck der staatlichen Behörden litt. Er hielt es für undenkbar, dass die Gottesmutter gerade in Fatima, und dann noch drei einfachen Kindern, erscheinen würde.
Die Behörden wiederum drohten offen: Der zuständige Administrator kündigte sogar an, am angekündigten Erscheinungstag eine Bombe nahe den Kindern zu zünden. Die Kinder blieben standhaft, auch unter diesen erschreckenden Drohungen.
Ein Tag im Regen
Am 13. Oktober 1917 regnete es seit den frühen Morgenstunden in Strömen. Lucias Eltern – in Sorge, dies könnte der letzte Tag im Leben ihrer Tochter sein – drängten sie zur heiligen Beichte. Sie selbst wollten bei der Erscheinung in unmittelbarer Nähe sein, um sie zu beschützen.
Unterstützt von ihren Eltern kämpften sich Lucia, Francisco und Jacinta durch den Morast zur Steineiche. Unzählige Menschen baten sie auf dem Weg um Fürsprache für Kranke und Leidende. Der Regen wollte nicht nachlassen.
Gegen Mittag knieten die Kinder nieder – der vertraute Lichtblitz kündigte die Ankunft der Gottesmutter an. Etwa 70.000 Menschen waren Zeugen dieses Moments, knietief im Schlamm stehend, durchnässt, aber betend.
Lucia: „Was wünschen Sie von mir?“
Maria: „Ich möchte dir sagen, dass hier eine Kapelle zu meiner Ehre gebaut werden soll.
Ich bin Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz.
Man soll weiterhin täglich den Rosenkranz beten.
Der Krieg geht zu Ende, und die Soldaten werden bald heimkehren.“
Lucia hatte zahlreiche Bitten gesammelt – für Heilung, Trost, Hoffnung. Die Gottesmutter versprach, einige Bitten zu erfüllen, andere nicht. Dann sprach sie mit tiefer Traurigkeit:
„Die Menschen sollen sich bessern und um Verzeihung ihrer Sünden bitten.
Man soll den Herrn, unseren Gott, nicht mehr beleidigen,
der schon so sehr beleidigt worden ist.“
Damit sprach Maria ihren letzten Appell an die Welt aus. Er galt nicht mehr nur den Kindern – alle Christen wurden aufgerufen, täglich den Rosenkranz zu beten. Mit diesem Gebet verband sie die Verheißung von Frieden, Bekehrung und Gnade.
Das Sonnenwunder
Als die Erscheinung endete, öffnete Maria erneut ihre Hände. Ein Lichtstrahl, stärker als die Sonne, durchflutete die Cova da Iria. In diesem Moment ereignete sich das, was bis heute als das Sonnenwunder von Fatima bekannt ist.
Avelino de Almeida, Reporter der liberalen Zeitung O Século, schrieb:
„Das ganze Volk sah plötzlich ein Lichtbündel wie einen Sonnenball –
eine matte Silberscheibe, in die man blicken konnte, ohne geblendet zu werden.
Plötzlich riefen die Menschen laut:
‚Ein Wunder! Ein Wunder! Die Sonne tanzt!‘“
Die Sonne begann, sich unregelmäßig zu drehen, stürzte plötzlich herab, als würde sie auf die Erde fallen, und kehrte dann an ihren Platz zurück. Viele Anwesende schrien vor Angst. Einige bekannten laut ihre Sünden, überzeugt, dass das Jüngste Gericht unmittelbar bevorstand.
Lucias Vater erinnerte sich:
„Die Sonne schien sich ganz vom Himmel zu lösen und wie ein riesiges Feuerrad auf uns herabzustürzen.
Es war ein schrecklicher Augenblick.“
Doch bald schon war alles vorbei. Die Sonne stand wieder ruhig am Himmel – und alle Kleidung, die zuvor vom Regen durchnässt war, war plötzlich trocken.
Hl. Josef mit dem Jesuskind
Während das Volk gebannt das Sonnenwunder erlebte, hatten die Seherkinder drei weitere Visionen:
Lucia berichtet:
„Nachdem Unsere Liebe Frau am Horizont verschwunden war, sahen wir zur Seite der Sonne:
Den heiligen Josef mit dem Jesuskind und Unsere Liebe Frau in Weiß, mit einem blauen Mantel.
Der heilige Josef und das Jesuskind machten ein Kreuzzeichen über die Welt.“
Diese Erscheinung – von der Gottesmutter im September angekündigt – wurde von Lucia als einfach, aber unvergesslich beschrieben. Es fehlten ihr, so schreibt sie, die Worte, um das Erlebte vollständig zu beschreiben.
Nachklang
Mit der sechsten Erscheinung endete die Reihe der öffentlichen Marienerscheinungen in Fatima. Die Botschaft war ausgesprochen, das Versprechen eines Zeichens erfüllt. Tausende Menschen wurden Zeugen eines übernatürlichen Ereignisses, das nicht nur die Kinder, sondern auch viele Skeptiker veränderte.
Einige wurden geheilt, viele bekehrten sich – und der Ruf Fatimas als Ort göttlicher Offenbarung breitete sich rasch in der ganzen Welt aus.
